Anforderungsanalyse für ein neues Verwaltungssystem
Die Auslandstochter eines weltweit tätigen börsennotierten Finanzdienstleisters benötigt ein neues Verwaltungssystem. Die Umsetzung des Vorhabens ist bisher nach mehreren Anläufen gescheitert. Es wird nun eine Lösung in Betracht gezogen, die bereits im Konzernverbund existiert. Bei den Mitarbeitern haben sich Widerstände verfestigt. Die Erhebung der fachlichen Anforderungen alleine reicht nicht aus, um das nötige Vertrauen zu erzeugen. Direkt zu Beginn fördern Schulungs- und Informationsveranstaltungen ein Höchstmaß an Transparenz. In einem Resonanz-Board mit den unterschiedlichsten Vertretern werden Sorgen und Unsicherheiten aufgefangen und somit besprechbar gemacht. Dadurch entsteht eine positive, offene Arbeitsstimmung, bei der Betroffene zu Beteiligten werden. Das gesamte Vorhaben wird ein gemeinsamer Erfolg.
Ein interner Projektleiter und ich bildeten das Leitungstandem für das Gesamtvorhaben. Zusätzlich war ich für das Teilprojekt Change Management verantwortlich. Zum Beraterteam gehörten noch sechs weitere Kollegen mit unterschiedlichen Spezialisierungen (Business-Analysten, Systemische Organisationsberater und ein Technischer Architekt). Die Dauer des Vorhabens war auf drei Monate angelegt.
Zur bestmöglichen Berücksichtigung der Menschen und der sozialen Systeme wurden zunächst Interviews mit ausgewählten Repräsentanten der Organisation durchgeführt. Anhand der gewonnenen Informationen konnten Hypothesen über die Organisation als System gebildet werden.
Die Hypothesen stützten folgende Maßnahmen und Interventionen:
- Ein gemischtes Kernteam aus Mitarbeitern und Beratern wurde gebildet, ergänzt um einen Kreis von Spezialisten bei der Durchführung von themenbezogenen Workshops. Die Organisation war so auf breiter Basis und gleichzeitig ressourcenschonend eingebunden.
- Sämtliche Beteiligte der Anforderungsanalyse besuchten themenbezogene Schulungen (z.B. für Business-Analysten, Anwendungsentwickler, Fachbereichsmitarbeiter, Software-Architekten, Management). So wurden die vorhandenen Prozesse und die Leistungsmerkmale des angestrebten Verwaltungssystems transparent.
- Für die betroffenen Organisationseinheiten wurde u.a. eine CD als Infopaket zur Verfügung gestellt. Weitere Maßnahmen zur Förderung der Kommunikation waren z.B. Projekt-Mailpostfach, Newsletter oder Informationsveranstaltungen. So verfügten auch Mitarbeiter, die nicht direkt am Projekt beteiligt waren, jederzeit über einen aktuellen Informationsstand.
- Der Tagesablauf gestaltete sich während des Projektverlaufs für das Kernteam weitestgehend ähnlich. Nachdem tagsüber themenbezogene Workshops mit den Spezialisten durchgeführt wurden, erfolgte abends im Beraterteam die Verifizierung der Hypothesen bezüglich der Organisation als System. Hierauf wurden Maßnahmen, Interventionen und Vorgehen ausgerichtet – damit sich die Muster der bisher erfolglos verlaufenen Projekte nicht wiederholten.
Regelmäßig wurden die gewonnenen Erkenntnisse in einem Resonanz-Board erörtert. Hier saßen Vertreter aus allen Teilen der Organisation, um unterschiedliche Perspektiven zusammenzuführen und besprechbar zu machen: Schlüsselpersonen mit Entscheidungsmacht, informellem Einfluss, Betroffenheit und Fachexpertise repräsentierten alle wichtigen Strömungen und Gruppierungen. Offene Diskussion und Meinungsbildung innerhalb der Organisation war auf diese Weise möglich. Sorgen wurden thematisiert und einer Lösung zugeführt. Dadurch sollte auch verhindert werden, dass Entscheidungen später nicht von der Organisation akzeptiert werden – was den Erfolg gefährdet hätte.
Die Sitzungen mit den Entscheidern auf Vorstands- und Direktorenebene zur Steuerung des Vorhabens waren eng getaktet. Unter Einbeziehung der gewonnenen Erkenntnisse aus den Workshops und dem Resonanz-Board konnten die erforderlichen Entscheidungen zeitnah gefällt werden – und alle Stakeholder blieben im Boot.
Am Ende eines jeden Workshops mit dem Resonanz-Board wurde ein Stimmungsbild abgefragt (im Bild: links der erste, rechts der letzte Workshop). Hierdurch konnten Außenstehende über den Prozess in Kenntnis gesetzt, aber auch Sichtweisen thematisiert und Erwartungshaltungen geklärt werden.
Ziel der Anforderungsanalyse war auch, die relevanten Fakten zu erheben und aufzubereiten. Um tragfähige Entscheidungen treffen zu können, wurden folgende Maßnahmen erforderlich:
- Die Unterschiede in den fachlichen Anforderungen zwischen den bereits vorhandenen Prozessen und Leistungsmerkmalen und den Anforderungen an das Verwaltungssystem zu erheben, abzugleichen und zu bewerten.
- Die wesentlichen Szenarien für eine künftige Unternehmensstrategie bezüglich Märkten, Produkten und Kunden mit den Entscheidern zu definieren, um die Eignung des Verwaltungssystems zu beurteilen.
- Technische Konzepte für eine Implementierung der Anwendung in der Infrastruktur des Unternehmens zu entwickeln.
- Die Aufwände für erforderliche Änderungen bei einer Einführung zu beziffern und in Realisierungsszenarien zu verdichten.
- Den voraussichtlichen Nutzen zu bewerten und mit den ermittelten Aufwänden in Relation zu setzen.
- Die wesentlichen Risiken für eine künftige Umsetzung zu identifizieren und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten und Auswirkungen abzuschätzen.
Nach Abschluss der Anforderungsanalyse und weiterer Phasen sah der Kunde folgenden Nutzen:
- Die Entscheidung konnte für eine Adaption der im Konzernverbund vorhandenen Lösung getroffen werden. Nach einer weiteren Detaillierung der Anforderungen erfolgte die planmäßige Realisierung.
- Durch die Förderung von Transparenz und Kommunikation entstand bei allen Beteiligten zunächst Neugierde für das Vorhaben und im weiteren Verlauf eine positive Aufbruchstimmung für die Beschreitung eines neuen Wegs.
- Alle an dem Vorhaben beteiligten Personen erfuhren durch den gemeinsam absolvierten Lernprozess eine nachhaltige Professionalisierung ihrer Tätigkeit. Die Kundenorganisation wurde somit befähigt, künftig vergleichbare Vorhaben erfolgreich in Eigenregie zu bewerkstelligen.