Auflösung eines Bereichsstandorts
Nach einer Fusion soll in einem Konzern ein Bereichsstandort des IT-Ressorts aufgelöst werden. Mit wachsender Unsicherheit bei den Mitarbeitern machen immer mehr Gerüchte die Runde. Um gegenzusteuern, werden zur Information durch die Führung und zur Erarbeitung von möglichen Zukunftsperspektiven Workshops mit den betroffenen Mitarbeitern durchgeführt. Am Ende der Maßnahme sind die Mitarbeiter entweder für eine andere Aufgabe am alten Standort qualifiziert oder werden mit der bisherigen Aufgabe an dem neuen Standort eingesetzt. Wertvolles Wissen langjähriger Mitarbeiter über Anwendungen, Prozesse und Zusammenhänge kann so erhalten und schlussendlich die Integration erfolgreich abgeschlossen werden.
Die Entscheidung für die Auflösung des Bereichsstandorts war nicht leichtgefallen, machte betriebswirtschaftlich gesehen aber nur so Sinn. Der verantwortliche Bereichsleiter reiste zum Standort, um die Belegschaft zu informieren. Gerüchte machten bereits zur Genüge die Runde. Auch ich war angereist, als Moderator der Veranstaltung – und um den Prozess der Integration über 18 Monate zu begleiten.
Denn die Unternehmensleitung befürchtete eine Abwanderung der Mitarbeiter mit einhergehendem Know-how-Verlust, ausgelöst durch die berufliche Ungewissheit. Katastrophenszenario war die Gefährdung des produktiven Betriebs. Die bestmögliche Berücksichtigung der Menschen und der sozialen Systeme war erforderlich geworden.
Um den Mitarbeitern neue Zukunftsperspektiven zu vermitteln, wurden verschiedene Maßnahmen umgesetzt:
- Ein Workshop zwecks Information über die Entscheidungslage sowie Erörterung der Sorgen und Vorschläge der Mitarbeiter wurde durchgeführt. Einige Befürchtungen wurden bestätigt, andere konnten verworfen werden. Unstrittig war, dass der Bereich an diesem Standort keine Zukunft mehr hatte. Klar wurde aber auch, dass für umzugswillige Mitarbeiter Chancen an einem anderen Standort entstehen sollten. Die Frage, inwieweit es alternative Stellen am gleichen Standort gibt, wurde zur Klärung zurückgestellt. Der schwere Prozess des Abschiednehmens hatte begonnen.
Von den betroffenen Mitarbeitern während des ersten Workshops erstellte Bilder. Ziel war es, eine Atmosphäre der Achtsamkeit und der Annahme für Emotionen wie Wut, Enttäuschung, Trauer und Sorge zu schaffen. Durch den folgenden ritualisierten Abschied vom Bisherigen sollte eine positive Aufbruchstimmung bei der Suche nach akzeptablen Lösungen unterstützt werden.
- In den folgenden regelmäßigen Veranstaltungen und Einzelgesprächen wurden die Mitarbeiter über den Stand der Dinge auf dem Laufenden gehalten. Sie erarbeiteten Vorschläge zu denkbaren Zukunftsperspektiven. Es wurde darüber informiert, wie viele Stellen am bisherigen Standort in anderen Aufgabengebieten zur Verfügung stehen und wie viele Stellen am anderen Standort besetzt werden können. Ferner wurde Transparenz hinsichtlich Bewerbungsverfahren und -kriterien geschaffen. Der Bereichsleiter hatte auf diese Weise die Chance, einen engen Kontakt zu den Einzelnen und zum Team zu halten und frühzeitig auf wechselwillige Mitarbeiter einzugehen. Die Mitarbeiter wiederum fühlten sich gut informiert und erfuhren Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Allmählich wurde „Licht am Ende des Tunnels” sichtbar.
- Für die wechselwilligen Mitarbeiter war es wichtig zu wissen, dass sie nicht nur die alten Anwendungen warten sollten, sondern auch in die neu eingeführte Anwendung am anderen Standort eingearbeitet würden. So konnte die Bereichsleitung glaubhaft vermitteln, dass es Chancen für eine Zukunft gibt.
Damit wertvolle Mitarbeiter für neue Aufgabengebiete oder einen Standortwechsel gewonnen werden konnten, war auch auf der Ebene der Fakten einiges zu unternehmen:
- In Zusammenarbeit mit der Personalabteilung wurde eine Jobbörse im Intranet eingerichtet. So hatte jeder der Betroffenen die Chance, nach geeigneten Stellen Ausschau zu halten.
- Für die offenen Stellen wurden Profile erstellt, ebenso individuell für jeden Mitarbeiter. Stellen- und Mitarbeiterprofil wurden miteinander abgeglichen. Der Qualifizierungsbedarf wurde in einem Qualifizierungsplan festgehalten und fortgeschrieben. So war ersichtlich, wie sich jeder Mitarbeiter fortbilden sollte.
- Ein Inhouse-Schulungscurriculum wurde erarbeitet. Dort konnten die Mitarbeiter in Trainings bausteinbezogen u.a. die neue Anwendungslandschaft, Prozesse oder auch Programmiersprachen erlernen. Als Trainer fungierten erfahrene Kollegen.
- Die eigentliche Einarbeitung am Arbeitsplatz erfolgte als Tandem mit einem 3-Phasen-Modell. Jeder neue Kollege arbeitete mit einem erfahrenen Kenner der Anwendung zusammen. In der ersten Phase beobachtete der Einzuarbeitende und schrieb das Gelernte auf. Der Kenner überprüfte und korrigierte das Dokument. Als Nebenprodukt konnte so die Dokumentation der Anwendungen verbessert und „Kopfmonopole” reduziert werden. In der zweiten Phase erledigte der Einzuarbeitende nach Anleitung erste Arbeiten selbst. Der Kenner war dabei häufig anwesend. In der dritten Phase erarbeitete der neue Mitarbeiter eigenständig Lösungen und setzte diese um. Der Kenner begutachtete anhand vorab vereinbarter Meilensteine die Arbeitsergebnisse und gab entsprechende Rückmeldung.
Um eine erfolgreiche Integration der Mitarbeiter am neuen Standort zu gewährleisten, wurde ein detailliertes Konzept umgesetzt:
- Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den betriebsverfassungsrechtlichen Gremien und der Personalabteilung stützte den gesamten Verlauf. So war sichergestellt, dass alle Beteiligten in die gleiche Richtung rudern.
- Für die an einem Wechsel interessierten Mitarbeiter wurde eine Informationsveranstaltung am neuen Standort durchgeführt. Hier wurde das neue Anwendungssystem erläutert, in erster Linie aber per Stadtführung und gemeinsamem Abendessen Kontakte mit den neuen Kollegen hergestellt. Die Besucher erhielten eine Mappe u.a. mit Informationen über die Region, das Wohnungsangebot und den öffentlichen Personennahverkehr. Nach eigenen Angaben waren die Besucher beeindruckt und von dem offenen Empfang durch die neuen Kollegen positiv gestimmt.
- Jeder Mitarbeiter, der sich für einen Standortwechsel entschlossen hatte, erhielt einen Paten. Dieser begleitete die ersten Schritte während der nächsten 100 Tage. Mit dem Patenkonzept sollte nicht nur die fachliche Einarbeitung unterstützt werden. Der Pate stand auch für Ratschläge bei der Wohnungssuche, Tipps für Freizeitaktivitäten und zur Förderung der sozialen Vernetzung zur Verfügung. All dies gewährleistete die gelungene Integration des neuen Kollegen.
Nach Abschluss der Maßnahmen schätzte der Kunde seinen Nutzen wie folgt ein:
- Sämtliche Mitarbeiter konnten entweder andere Aufgaben übernehmen oder einen Standortwechsel vollziehen. Die laufenden Anwendungen wurden erfolgreich weiterentwickelt. Auch zwei Jahre nach Abschluss der Maßnahme gab es noch keine Kündigungen – ein Zeichen für eine erfolgreiche Integration nach der Fusion.
- Der Einsatz von Mitarbeitern, die mit den Anwendungen sowohl am alten als auch am neuen Standort vertraut sind, schafft enorme Vorteile für das geplante Migrationsprojekt zur Abschaltung der Altanwendungen. Projektrisiken und Kosten sind deutlich reduziert.
- Das Vorgehen bei der Einarbeitung neuer Mitarbeiter wird standardisiert. Effekt ist eine höhere Erfolgsquote und dadurch geringere finanzielle Verluste.